Der Effektor der posturalen Programme ist die Skelettmuskulatur. Diese können wir nach verschiedenen Kriterien unterteilen, wobei sich alle Einteilungen gegenseitig einschließen!

  1. Neuroanatomische Einteilung
  2. Biomechanisch-anatomische Einteilung
  3. Funktionell-anatomische Einteilung (lokal-globale Einteilung)

1. Neuroanatomische Einteilung

In der neuroanatomischen Einteilung differenzieren wir die autochthone von der heterochthonen Muskulatur.

Autochthone Muskulatur: Wird aus dem Ramus dorsalis in Höhe des Spinalnervensegmentes innerviert (betrifft ausschließlich die wirbelsäulennahe Rückenmuskulatur). Der mediale Ast des Ramus dorsalis innerviert den medialen Trakt der autochthonen Rückenmuskulatur, der laterale Ast den lateralen Trakt.

Heterochthone Muskulatur: Wird aus dem Ramus ventralis innerviert. Im Rumpfbereich sind dies die Intercostalnerven, in den Extremitäten die Plexus (cervicalis, brachialis und lumbosacralis).

2. Biomechanisch-anatomische Einteilung

Diese Einteilung betrifft ausschließlich die autochthone Muskulatur. In der biomechanisch-anatomischen Einteilung unterscheiden wir die Lage zur Wirbelsäule, die Zug- oder Vektorrichtung und den Muskelverlauf zwischen den inserierenden Knochen.

Lage zur Wirbelsäule:

  • Medialer Trakt: Achsennah, geringes Kraftmoment (Mm. intertransversarii, interspinalis, spinalis, rotatores, multifidus, semispinalis)

  • Lateraler Trakt: Achsenfern, höheres Kraftmoment (z.B. M. iliocostalis, longissimus, splenius cervicis, splenius capitis)

Vektorrichtung:

  • Geradsystem (Längssystem): Achsenparallel (z.B. M. iliocostalis, longissimus, intertransversarii, interspinalis, spinalis)

  • Schrägsystem: Diagonaler Verlauf (z.B. Mm. splenius cervicis et capitis, rotatores, multifidus, semispinalis)

Verlauf zwischen Ursprung und Ansatz:

  • Interspinales System
  • Intertransversales System
  • Transversospinales System (aufsteigend)
  • Spinotransversales System (aufsteigend)

3. Funktionell-anatomische Einteilung

Die funktionell-anatomische Einteilung differenziert nach lokaler (segmentaler) und globaler (polysegmentaler) Anordnung.

Segmentale Muskulatur:  Überzieht ein artikuläres Segment.

Beispiele: Mm. rotatores brevis an der Wirbelsäule (tiefe Schicht der Rumpfmuskulatur) oder der m. vastus medialis am Kniegelenk.

Polysegmentale Muskulatur: Überzieht mehr als ein artikuläres Segment.

Beispiele: M. rectus femoris am Hüft- und Kniegelenk, m. flexor digitorum profundus an Hand- und Fingergelenken.

Die polysegmentale Muskulatur können wir an der Wirbelsäule funktionell wie folgt unterteilen:

Kurze polysegmentale Muskulatur („sektorale Muskulatur“, mittlere Schicht der Rumpfmuskulatur): Überzieht an der Wirbelsäule maximal sechs Segmente, z.B. die mm. semispinalis.

Lange polysegmentale Muskulatur (oberflächliche Schicht der Rumpf-muskulatur):  Überzieht an der Wirbel­säule mehr als sechs artikuläre Segmente, z.B. der m. latissimus.

Muskeleinteilung
Schematische Darstellung der funktionell-anatomischen Muskeleinteilung am Beispiel der Wirbelsäule.

Für die Stabilisierung der Motorik (Einstellung der Fixpunkte) haben alle Muskelschichten, insbesondere aber die segmentalen Muskeln, eine wichtige Bedeutung. Diese sorgen als Effektor posturaler Programme aus den supra­spinalen Strukturen für eine adäquate Adjustierung (Einstel­lung) des artikulären Segmentes bei Verlagerungen des Körperschwerpunktes. Sie stellen die Position der Gelenkkörper rechtzeitig vor der Bewegungsausführung (feed forward) in ihren anatomischen Grenzen ein.

Bei geringer Körperschwer­punktverlagerung (z.B. Arbeit am PC) reicht die Aktivierung der segmentalen Muskeln (unter Absicherung der sektoralen Stabilität), um das dynamische Körpergleich­gewicht sicherzustellen.

Bei größer werdenden Körper­schwer­punkt­verlagerungen werden die kurzen (sektoralen, bis max. 6 Segmente) und die langen (>6 Segmente) polysegmentalen Muskeln sukzessive aktiviert. Die eigentliche Bewegungs­ausführung wird durch die langen, überwiegend phasischen polysegmentalen Muskeln unter ständig dynamischer segmentaler und sektoraler feed-forward-Stabilität und Koordination realisiert.

Wenn die Steuerung der segmentalen und sektoralen Muskulatur im Sinne einer Inhibition verändert ist (z.B. nach langen monotonen Tätigkeiten oder Beschleunigungstraumata), müssen die langen polysegmentalen Muskeln die posturale Funktion (überwiegend isometrische Haltearbeit) übernehmen. Dafür ist diese oberflächlich gelegene Muskelschicht weder von ihrer Steuerung, ihrer Biomechanik noch ihrem Stoffwechsel geeignet. Durch die isometrische Haltearbeit wird die polysegmentale Muskulatur überlastet und sendet nozizeptive Inputinformationen zum ZNS. Das ZNS verändert infolge dessen die Muskeltonuseinstellung in weiteren Bewegungsketten und kann diese funktionelle Gefährdung in der kortikalen Ebene als Schmerzgefühl interpretieren.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Stabilisierung der Motorik ist die Trägheit der Masse. Patienten mit funktionell posturaler Dysfunktion berichten häufig über eine Schmerzreduktion bei Bewegung (z.B. Gehen). Hier kann die Trägheit der Masse für die segmentale Stabilisation und damit für die Schmerz­reduktion verantwortlich sein.

Biokybernetische Anmerkungen zu den funktionsanatomischen Skelett­muskel­schichten:

  • Ihre jeweilige Fazilitation ist abhängig von der Tätigkeit (Lastarm: kurz – mittel – lang) und den Widerständen (niedrig – mittel – hoch).
  • Die Funktionsqualität der segmentalen und sektoralen Muskulatur ist von der Qualität der zentralmotorischen posturalen Programme abhängig.
  • Im Körper findet keine Funktionsbewegung ohne segmentale und sektorale Sicherung statt.

4. Zusammenfassende Darstellung der Skelettmuskelschichten

Übersicht Skelettmuskelschichten

5. Das globale und das lokale Muskelsystem

Abschließend die Darstellung der gegenseitigen Wechselbeziehungen der verschiedenen skeletttalen Muskelschichten.

Je globaler ein Muskel angeordnet ist, desto größer ist seine Bewegungsfunktion und desto geringer seine (segmentale) Stabilisations- und Koordinationsfunktion.

Je lokaler ein Muskel angeordnet ist, desto größer ist seine segmentale Stabilisations- und Koordinationsfunktion und desto geringer seine artikuläre Bewegungsfunktion.

Globales vs. lokales Muskelsystem