Wenn wir uns mit Rückenschmerzen und deren Ursachen beschäftigen scheint es naheliegend zu sein, uns die passiven Strukturen wie den Knochen, Bändern und Kapseln, aber v.a. (warum auch immer) die Bandscheiben anzusehen.

Das werde ich hier jedoch nicht tun!

Warum nicht?

Weil diese Strukturen in den wenigsten Fällen die Ursache der Rückenschmerzen sind, höchstens nach Traumata.

Im Fokus der Ursachensuche von Rückenschmerzen steht unser Gehirn oder etwas spezifischer unser zentrales Nervensystem (ZNS) mit seinen Befehlsempfängern, hier den Skelettmuskeln.

Wie beschäftigen uns also nicht mit etwas passivem, sondern es wird aktiv, denn wir kleiden die Wirbelsäule mit einer schützenden, bewegenden, koordinierenden und formgebenden Muskelbeschichtung aus.

Direkt an der Wirbelsäule liegen kleine Muskeln. Diese Muskeln ziehen von einem Wirbel zum nächsten Wirbel. Ihre Verläufe sind je nach Muskel unterschiedlich, manche verlaufen gerade, andere schräg. Zusammengenommen finden wir Verläufe von vertikal bis fast horizontal. Das sogenannte Bewegungssegment der Wirbelsäule (zwei Wirbelkörper mit den dazugehörigen Bindegewebsstrukturen) wird durch diese kleinen segmentalen Muskeln regelrecht verpackt.

Die nächste Muskelschicht, die darüber angeordnet ist, überzieht schon mehrere Wirbelsegmente.

Und die oberste Muskelschicht überspannt viele Segmente, teilweise fast die gesamte Wirbelsäule. Diese Muskeln zeichnen sich unter der Haut ab, diese Muskeln machen unsere Rumpfkontur aus und diese Muskeln kräftigen wir z.B. im Fitnessstudio. Wir teilen unsere Rumpfmuskulatur also in drei Schichten ein.

Muskelschichten
Die drei Schichten der Rumpfmuskulatur: Die tiefe, segmentale Muskelschicht (vergrößert), die mittlere, sektorale Muskelschicht (gelb) und die große, den gesamten Rücken bedeckende oberflächliche Muskelschicht.

Muskeln sind aktive Strukturen, das bedeutet, sie können sich verkürzen und damit Spannung aufbauen und eine Bewegung in einem Gelenk ermöglichen oder aber auch eine Bewegung bei der Einwirkung äußerer Kräfte verhindern. Muskeln, die ein Gelenk überziehen, können bei gleichzeitiger Anspannung ein Gelenk versteifen, besser gesagt sichern.

Der Muskel als alleiniges Organ ist jedoch noch keine aktive Struktur, denn er braucht einen übergeordneten Befehlsgeber, der zum einen die Ernährung, also Durchblutung des Muskels steuert und reguliert, als auch dessen An- und Entspannung sowie dessen Ruhespannung. Dafür haben wir einen Computer, unser zentrales Nervensystem. Es besteht aus dem Gehirn und das im Wirbelkanal bis in Lendenhöhe ziehende Rückenmark. Dieser Computer steuert unsere Motorik, er reguliert das hochkomplexe Zusammenspiel aller Muskeln. Denn wenn wir uns die drei Muskelschichten des Rumpfes betrachten, so müssen diese Muskelschichten feinst koordiniert aufeinander abgestimmt sein. Eine große Bedeutung kommt dabei den kleinsten, tief gelegenen Muskeln zu. Diese Muskeln liegen zu dicht an den Drehpunkten der Wirbelsäule, als das durch sie größere Bewegungen bewerkstelligt werden könnten. Diese Muskeln bewegen kaum, diese Muskeln stabilisieren. Diese Muskeln werden das tiefenstabilisierende System genannt. Das Besondere an diesem System ist, das es vor einer Bewegung, bereits bei der Bewegungsabsicht, von unserem Gehirn zielgerichtet dosiert aktiviert werden muss. Das bedeutet, unser Zentralcomputer muss die kommende Bewegung durch die richtige Aktivierung dieser segmentalen Muskeln einleiten, damit die Wirbel optimal zueinander koordiniert und gesichert sind. Die nächst größere Muskelschicht wird teilweise auch im Vorfeld der Bewegung aktiviert und auch mit der Bewegung selber. Durch die besseren Hebelverhältnisse ist diese Muskelschicht für die Bewerkstelligung von kleineren, schwankenden Rumpfbewegungen verantwortlich. Die oberflächigen Muskeln sind für die eigentlichen Bewegungen, in diesem Fall des Rumpfes, verantwortlich.

Diese drei Muskelschichten müssen durch unseren Zentralcomputer, dem Nervensystem, optimal aufeinander koordiniert gesteuert werden. Optimal koordiniert heißt, das die Reihenfolge der Aktivierungen, deren Intensität und Ausrichtung perfekt aufeinander abgestimmt sein muss. Nur dann kommen ökonomische, feinst koordinierte Bewegungen zustande. Wenn diese zentralmotorische Steuerung gestört ist, können Schmerzen und langfristig z.B. Bandscheibenvorfälle entstehen.

Warum?

Das komplexeste und sensibelste Muskelsystem ist das tiefenstabilisierende System. Die Steuerung dieser Muskeln ist sehr komplex und entsprechend der Komplexität störanfällig. Einseitige Informationen an das Nervensystem, z.B. durch lange gleichartige Tätigkeiten (PC-Arbeit), können die Muskelkoordination stören und die Segmentstabilisation und –koordination gefährden. Eine über Jahre bis Jahrzehnte bestehende Koordinationsstörung im Bewegungssegment der Wirbelsäule überlastet die Bandscheiben und kann zu einem Bandscheibenvorfall führen. Wenn dieses tiefe Muskelsystem nicht mehr die Stabilität der Wirbelsäule gewährleisten kann, versucht unser Zentralcomputer die Stabilität über die großen, oberflächig gelegenen Muskeln zu realisieren. Diese Muskeln sind jedoch aufgrund ihrer Lage, ihrer Zugrichtung, ihrer Steuerung und ihres Stoffwechsels dazu nicht in der Lage. Sie werden überlastet, sind dauerhaft angespannt und werden dadurch nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Und so ein überlasteter Muskel schmerzt!

Das ist auch die häufigste Ursache für Rückenschmerzen (bei ca. 85% der mitteleuropäischen Bevölkerung).

Nicht die kaputten Strukturen wie Bandscheibenvorfälle oder Wirbelgelenkarthrosen machen die meisten Rückenschmerzen in unserer Gesellschaft aus, sondern chronisch überlastete Muskulatur!

Muskeln können sich nicht nur auf Befehl unseres Gehirns an- und entspannen, sondern Muskeln besitzen eigene Meldeorgane. Das sind kleine, spindelförmige Strukturen im Muskel, die die Längenänderung des Muskels in der Zeit registrieren und diese Infos als elektrische Potentiale an das Gehirn senden. Das Gehirn nimmt diese und viele weitere Informationen aus anderen Meldeorganen  auf, entschlüsselt, wertet, bearbeitet und beantwortet diese. Ein typisches und das einfachste Beispiel ist der Eigenreflex, z.B. beim Schlag auf die Kniescheibensehne. Hierbei kommt es durch den Schlag zu einer kurzen Dehnung des Muskels, was vom Nervensystem mit einer kurzen Muskelanspannung beantwortet wird. Über dieses Meldeorgansystem weiß unser Computer immer, welcher Muskel wie arbeitet und ob alles wie beabsichtigt funktioniert. Das ganze wird durch zahlreiche andere Informationen aus Haut, Bändern, Sehnen, Kapseln, aus Auge und Innenohr ergänzt und es entsteht ein „Bild der Bewegung“ bzw. ein „Bild der Körperspannung und –raumlage“. Unser Computer funktioniert vom Prinzip her wie ein PC. Er benötigt Informationen. Nur auf Basis ausreichender, stetiger und qualitativ guter Informationen kann er auch adäquat agieren, z.B. unser tiefenstabilisierendes System schon bei der Bewegungsabsicht korrekt einstellen. Bekommt er zu wenig Informationen oder qualitativ schlechte Informationen, so kann es zu Fehlsteuerungen kommen. Die Ursachen müssen nicht in Fehlinformationen aus dem Muskel liegen, die zentralmotorische Steuerung kann auch durch Fehlinformationen insbesondere aus den Augen, aus dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr oder aus den sogenannten Rezeptororganen Fuß und Kopfgelenke gestört sein.

Dies ist die häufigste Ursache in unserer heutigen, bewegungsarmen Gesellschaft. Viele Menschen sitzen heutzutage 15 Stunden am Tag, und das auf starren, nicht beweglichen Sitzflächen. Es fängt bereits in den Schulen an!

Dies führt zu monotonen und reduzierten Eingangsinformationen an unseren Zentralrechner, was langfristig zu ebenfalls reduzierten und monotonen Potentialen aus unseren Zentralrechner an unsere Muskeln führen kann. Einfach gesagt, unsere v.a. stabilisierenden Muskeln verkümmern.

Wie können wir der Informationsmonotonie an unseren Zentralrechner nun entgegenwirken? Indem wir uns von Kindsbeinen an konstant und nachhaltig mehr bewegen: In der Freizeit und am Arbeitsplatz.