In dieser fünfteiligen Artikelserie stelle ich Ihnen grundlegende Überlegungen zur funktionellen Schmerztherapie des Bewegungssystems dar. Funktionell bedeutet in diesem Zusammenhang, das zum einen Schmerzen, verursacht durch Funktionsstörungen der zentralmotorischen Steuerung, angegangen werden, das wir aber auch einen neuro-logischen, holistischen Ansatz zur nachhaltigen Beseitigung der Schmerzen wählen.
In diesem fünften und abschließenden Teil stelle ich Ihnen ein therapeutisches Konzept vor und ziehe ein Fazit für die Praxis!
Therapie
Mit der funktionellen Schmerztherapie wie auch mit jeder Schmerztherapie des Bewegungssystems wird grundsätzlich das Ziel verfolgt, fehlerhafte neuronale Regel- und Steuerungsvorgänge im kybernetischen System des menschlichen Organismus zu normalisieren und damit die Reduzierung der funktionellen Nozizeption des Bewegungssystems durch die Stabilisierung der Motorik zu ermöglichen. Die Schmerzregion wird i.d.R. nicht primär behandelt [11] [13].
Das hier vorgestellte therapeutische Konzept beinhaltet drei Therapiestufen (vgl. Tab.1). Das chronologische Einhalten der Stufen ist eine wesentliche Voraussetzung für den Therapieerfolg [11] [13].
Therapiestufe 1 | Therapiestufe 2 | Therapiestufe 3 | |
Steuerungsebene | spinal | supraspinal | supraspinal |
Ziel | Afferenzoptimierung | Haltungs-optimierung | posturale Stabilisation |
Therapieinhalt | Beseitigung überschießender reziproker Hemmung | Enthemmung der supraspinalen Steuerung | Aktivierung posturaler Reaktionen |
Therapiemethode | autogene und reziproke Hemmung und Bahnung | Reziproke Hemmung und Bahnung in Bewegungsketten | Provokation der funktionellen Stabilisierung |
Therapie-verfahren | heiße Rolle, Chiropraktik, Infiltrationstherapie, Trigger-punkttechniken, TENS, Tapingt-echniken,… | Übungen mit Übungsbändern und an Zugapparaten, PNF-Muster,… | Posturale Therapie mit dosiert instabilen/labilen Geräten |
Die erste Stufe der funktionellen Schmerztherapie beinhaltet die Optimierung des afferenten Input. Das Ziel ist die Beseitigung einer überschießenden spinalen reziproken Hemmung [11]. Dies geschieht durch lokale oder reziproke Hemm- (Abb. 4) bzw. Bahnungstechniken (Abb. 5) sowie durch manualmedizinische Interventionen wie der Chiropraktik.


Nach unserer Hypothese optimieren diese die Verteilung der Reize auf die Alphamotoneurone für die bipedale Haltung gegen die Schwerkraft und senken damit die Aktivität der tonischen Alphamotoneurone im spinalen Vorderhorn. Dies reduziert die funktionellen nozizeptiven Afferenzen, was zum Verschwinden der postural bedingten Schmerzen führen kann. Hier bietet sich der Vergleich mit dem Anklicken einer richtigen Datei in einem Computerprogramm durch die Eingabe einer richtigen Information an. Durch die Maßnahmen dieser ersten Therapiestufe normalisieren sich nach unseren klinischen Erfahrungen die posturalen Reaktionen bei ca. 30% der Patienten. Manchmal bessern die Maßnahmen dieser Therapiestufe die subkortikale Steuerung und die Stabilisierung ist wieder optimiert. Die Techniken dieser ersten Therapiestufe bilden durch ein verbessertes „Afferenzmuster“ die Voraussetzung für die zweite Therapiestufe.
Die zweite Stufe der funktionellen Schmerztherapie beinhaltet die Haltungsoptimierung durch Bahnung mit reziproker Hemmung in funktionellen Bewegungsketten (Abb. 6).

Das Ziel ist die Aktivierung der gehemmten supraspinalen Steuerung und damit die Beseitigung posturaler Dysfunktionen. Die posturalen Programme werden besser gebahnt. Die Körperposition in der Vertikalen bei ruhig und korrekt eingestellten Gürtelregionen während der Bewegungsdurchführung ist wichtig. Durch die Techniken und Übungen normalisieren sich nach unseren klinischen Erfahrungen bei weiteren 30-40% der Patienten die posturalen Reaktionen. Der Erfolg der zweiten Stufe hängt entscheidend von den Fähigkeiten des Therapeuten ab, die richtigen Widerstände für die richtigen Muskelketten zu geben.
Die dritte Stufe der funktionellen Schmerztherapie kommt bei ca. 30-40% der Patienten zur Anwendung, bei denen die ersten zwei Stufen die posturale Dysfunktion nicht ausreichend beseitigt bzw. die posturale Stabilisierung nicht ausreichend aktiviert haben. Die dritte Stufe besteht in der direkten zielorientierten Aktivierung der funktionellen posturalen Stabilisierung (Aktivierung der segmentalen Koordination). Diese segmentale Stabilisation geschieht durch spezielle Übungstechniken auf dosiert instabilen Therapieflächen (Abb. 7) [12] [13] und mit Schwingstäben.

Der Patient sollte in einem optimal vorbereiteten Zustand (aus den ersten beiden Therapiestufen) mit der dritten Therapiestufe beginnen, um die enthemmten kybernetischen Mechanismen der ersten beiden Therapiestufen für die segmentale Koordination zu automatisieren [20]. Wichtig ist, dass die stabilisierenden Therapietechniken und die dadurch erreichten synergistischen Aktivitäten zielorientiert sein müssen (z.B. Büroarbeiter vs. Handwerker vs. Sportler).
Die ersten beiden Therapiestufen „enthemmen“ die posturalen Programme und bereiten damit die direkte, dosierte Aktivierung der posturalen Reaktionen in der dritten Therapiestufe vor. Je nach Schwere der motorischen Störung haben die Therapiestufen eine unterschiedliche Wichtung im Ablauf der funktionellen Schmerztherapie.
Fazit für die Praxis
Die Kenntnisse der posturalen Ontogenese sind wichtig für eine erfolgreiche Schmerztherapie des Bewegungssystems, da es sonst zu einem falschen Verständnis der Ätiologie muskulärer Dysbalancen kommen kann. Bei der Behandlung muskulärer Funktionspathologien und damit einer „Umprogrammierung“ der zentralen posturalen Kybernetik ist der therapeutische Grundsatz „Hemmung vor Bahnung“ wichtig [11]. Die überschießend gebahnten und reziprok gehemmten Muskeln verändern die Einstellung der Fixpunkte und dadurch wesentlich die posturale Stabilisierung. Diese Muskeln müssen zunächst gehemmt bzw. gebahnt werden (Therapiestufe 1). Auf Basis einer besseren posturalen Steuerung kann die Haltungsoptimierung in funktionellen Bewegungsketten gebahnt werden (Therapiestufe 2). Dies stellt die Basis der direkten Aktivierung der posturalen Stabilisierung dar (Therapiestufe 3).
Die optimale posturale Stabilisierung ist das Ziel jeder Schmerztherapie des Bewegungssystems!
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