In der menschlichen Motorik können wir grundsätzlich drei Steuerungsebenen differenzieren, die funktionell eng miteinander interagieren:
- Die spinale Ebene
- Die supraspinale = subkortikale Ebene
- Die kortikale Ebene
Der Weg der Information geht über die spinale Ebene (mit Ausnahme der zwölf Hirnnervenpaare) zentralwärts.
Die spinale Steuerungsebene
Die spinale Ebene ist die phylo- und ontogenetisch älteste Steuerungsebene der Motorik, da nach der Geburt des Menschen die supraspinalen und kortikalen Bahnen noch nicht ausreichend entwickelt (myelinisiert) sind. Der Mensch wird also unreif geboren, im Gegensatz zu vielen Tieren, welche nach der Geburt rasch aufstehen können und somit eine früh zur Verfügung stehende, artspezifische Steuerung haben.
Nach der Geburt wird die menschliche Motorik größtenteils von spinalen Programmen mit der reziproken Hemmung gesteuert.
In dieser Steuerungsebene ist keine ausreichende Stützfunktion möglich. Auf spinaler Ebene kann nur die segmentale, nicht jedoch die synergistische Muskelaktivität gesteuert werden.
Das motorische Muster zeigt eine Hyperfazilitierung in Flexion, Adduktion und Innenrotation (ein Wurm, der nur segmental über die Chorda dorsalis gesteuert ist, bewegt sich bei einem nozizeptiven Input stets in eine Flexion).
Das Rückenmark weist in den Bereichen, in denen die zervikalen- und lumbalen Spinalnerven das Rückenmark erreichen und verlassen, zwei Verdickungen auf:
- Intumescentia cervicalis (C 3 – Th2)
- Intumescentia lumbosacralis (Th9/10 – L 1/2)
In diesem Bereich sind die graue Substanz und der Eigenapparat der weißen Substanz besonders stark ausgebildet, da für die Extremitäten aufwendige Verschaltungen und zahlreiche Motoneurone („firm-ware“) benötigt werden.
Das Rückenmark ist metamer, in hintereinanderliegenden Abschnitten, gegliedert. Jedes Rückenmarksegment innerviert
- ein Dermatom (Haut und Unterhaut),
- ein Myotom (Skelettmuskel),
- ein Sklerotom (Elemente des Achsenskeletts: Knochen, Periost, Knorpel, Bänder),
- ein Viszerotom/Enterotom (inneres Organ) und
- ein Vasotom (Blut- und Lymphgefässe).
Auf spinaler Ebene erfolgt die Steuerung der Muskelfasern durch α-Motoneurone sowie die Einstellung der Muskelspindel durch γ-Motoneurone. Die α-Motoneurone lassen sich in phasische und tonische differenzieren, was Bedeutung für das Kontraktionsverhalten des Muskels hat.
Interneurone sind u.a. Zuständig für die reflektorische Inhibition von Agonisten und Antagonisten, für die Verteilung der Reizlateralität und die Potentialverteilung auf die phasischen und tonischen α-Motoneurone. Des Weiteren verteilen die Interneurone die deszendierenden, supraspinalen Informationen.
Motorische Funktionen des Rückenmarks:
- Reflexfunktion
- Einstellung der reziproken Inhibition und Fazilitation (Abstimmung Agonist – Antagonist)
- Steuerung der Muskelfasern über die α-Motoneurone
- Empfindlichkeitseinstellung der Muskelspindel über die γ-Motoneurone
- Beinhaltet die „Firmware“ der „Triple-Flexion“ der assoziierten Extremitäten
Die spinalen Interneurone haben in Bezug auf die Motorik folgende Aufgaben:
- Steuerung der Intensität der reflektorischen Inhibition Agonist – Antagonist
- Steuerung der Potentialverteilung der Reizlateralität
- Steuerung der Potentialverteilung auf die α-Motoneurone (phasisch – tonisch)
Die supraspinale Steuerungsebene
Die supraspino-subkortikale Ebene setzt sich aus
- der Medulla oblongata,
- dem Pons,
- dem Cerebellum,
- dem Mesencephalon,
- dem Diencephalon mit dem Thalamus und
- den Basalganglien
zusammen.
Auf dieser ZNS-Ebene erfolgt
- die Auswahl der automatisch ablaufenden motorisch posturalen Programme (zielorientierte Stabilisierung) sowie
- die Einstellung der Reizbarkeit des Muskeltonus in funktionellen Bewegungsketten (Einstellung des Muskelsynergismus).
Die posturalen Programme befinden sich in Neuronennetzen im ZNS, besonders supraspino-subkortikal. Man kann den dort lokalisierten Basalganglien eine „Mausklickfunktion“ zuschreiben, da diese nach einer Bewegungsabsicht die „posturalen Strategien“ im Assoziationscortex „anklicken“ (START – STOP – Funktion).
Synergismus bedeutet, dass funktionsanatomische „Gegenspieler“ bei allen Bewegungen zusammenarbeiten, v.a. bei der posturalen Stabilisierung. Die synergistischen Muskelaktivierungen werden ontogenetisch als erste Äußerungen der stabilisierenden posturalen Steuerung untersucht, z.B. ob eine Abstützreaktion möglich ist (posturale Lagereaktionen nach VOJTA).
Die Ströme der vestibulären, visuellen und propriozeptiven Eingangsinformationen sind zur Aktivierung der posturalen Programme unersetzlich. Man braucht diese nicht nur für das grobe Gleichgewichtsverhalten. Besonders wenn der Schwerpunkt der Extremitäten (z.B. Armbewegung) oder des ganzen Körpers verlagert werden soll, muss die optische, vestibuläre und propriozeptive Afferenz die antizipatorische Einstellung der synergistischen Aktivierung der Muskeln im Axisorgan und in den Gürtelregionen (Fixpunkte) einleiten.
Motorische Funktion der supraspinalen Ebene:
- Auswahl der automatisch ablaufenden posturalen Programme.
- Einstellung der Reizbarkeit des Muskeltonus in funktionellen Bewegungsketten (Einstellung der synergistischen Aktivierung).
- Einstellung der Fixpunkte (Gürtelregionen).
Die kortikale Steuerungsebene
Auf kortikaler Ebene, genauer in der Hirnrinde (Kortex cerebri), erfolgt u.a. die bewusste Initiation von Bewegungen sowie die Realisation von Bewegungs- und Schmerzempfindungen.